20.12.2022

Virtuos über fünf Achsen

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Drei Männer stehen in einem Labor

Prof. Dr.-Ing. Bahman Azarhoushang (rechts) arbeitet gemeinsam mit seinem Team am vielfältigen Einsatz der Ultrakurzpuls-Lasertechnik.

Kompetenzzentrum für spanende Fertigung setzt neue Maßstäbe in der Lasertechnik

Es ist alles eine Frage der Oberfläche. Soll ein Werkstoff Flüssigkeiten abweisen oder sollen diese besonders gut anhaften? Soll Licht reflektiert werden oder eben nicht? Es klingt ein bisschen nach „Wünsch dir was“, aber im Kompetenzzentrum für spanende Fertigung (KSF) in Tuttlingen gibt es eine Anlage, die all diese Anforderungen umsetzt, und noch viele mehr. Der von außen unauffällige „Schrank“ hat einen Wert von 1,2 Millionen Euro, und KSF-Leiter Prof. Dr.-Ing. Bahman Azarhoushang ist zu Recht stolz auf diese einzigartige Ausstattung seines Labors: „Ich glaube nicht, dass es in Europa noch eine andere Einrichtung gibt, die so ausgerüstet ist.“

Seit eineinhalb Jahren beschert „GF-P400U – Femto Flexipulse“ dem Team im KSF eine Premiere nach der anderen. Das Geheimnis ist ein Ultrakurzpuls-Laser, der von fünf mechanischen Achsen bewegt wird und damit die Maßstäbe in der Oberflächentechnik verschiebt. Azarhoushang zeigt eine Schere und einen Nadelhalter – naheliegende Beispiele, schließlich ist Tuttlingen eine Hochburg der Medizintechnik. „Hier haben wir eine superhydrophobe Oberfläche erstellt“, erklärt der Laborleiter. „In wenigen Sekunden bearbeitet der Laser die Werkzeuge so, dass kein Wasser oder Blut mehr daran haften bleibt.“ Dies sei ein Riesenvorteil für einen Chirurgen, der im Operationsbereich so viel besser sehen könne, sagt Azarhoushang.

Um bei der Medizintechnik zu bleiben: Auch bei Implantaten leistet „GF-P400U“ Erstaunliches. Wird die Oberfläche eines Knochenimplantats mittels Laser behandelt, kann der körpereigene Knochen um ein Vielfaches schneller an die künstlichen Teile anwachsen – „wir sprechen hier von Tagen statt Wochen“, sagt Azarhoushang.

Der Ultrakurzpulslaser arbeitet mit einer so genannten „Pulsbreite“, also Schnelligkeit, von Pico- oder Femtosekunden – dem Billiardstel einer Sekunde. „Wir setzen die so genannte ‚kalte Ablation‘ ein“, erklärt Professor Azarhoushang. „Dabei wird die solide Phase des Werkstoffs direkt in Gas umgewandelt, und zwar so schnell, dass es keine Wechselwirkungen gibt.“ Die fünf Achsen des Geräts machen möglich, dass auch Werkstücke mit freien Formen bearbeitet und auf den Mikrometer genau im Raum positioniert werden können.

Revolutionäre Oberflächentechnologien

Auch in der „Tribologieoptimierung“ kommt die Anlage zum Einsatz – dabei geht es um Reibung, Verschleiß und den erforderlichen Einsatz von Schmiermitteln, zum Beispiel in Bestandteilen von Pumpen. Azarhoushang und sein Team brachten auf der keramischen Oberfläche einer Buchse winzig kleine „Näpfchen“ an, also Vertiefungen, die das Schmiermittel regelrecht festhalten können. Ergebnis: Viel weniger Schmiermittel sind nötig, und das Werkstück hat eine wesentliche längere Lebensdauer als ohne die raffinierte Oberflächenstruktur.

Begeistert zeigt Professor Azarhoushang ein weiteres Werk von „GF-P400U“: Diesmal scheint es sich eher um Kunst zu handeln als um Technik? „Mit dem Laser können wir Hologramm-Oberflächen gestalten“, erklärt er, „je nach Lichteinfall sieht man die Oberfläche in einer anderen Farbe, weil das Licht anders gebrochen wird. Eine solche Oberfläche ist zum Beispiel einhundert Prozent fälschungssicher!“

Ebenfalls mit Optik beschäftigt sich ein Forschungsprojekt, das Azarhoushang im nächsten Jahr starten wird. Diesmal begibt er sich auf die Suche nach dem absoluten Schwarz. „Wir werden an einer Antireflex-Oberfläche arbeiten“, verrät er. Das Tiefschwarz soll im Inneren von Endoskopen benutzt werden und dort jegliche Lichtspiegelung unterdrücken. Bei einer Endoskopie, also einer Kameraaufnahme im Körperinneren, sind Beleuchtung und Bildqualität entscheidend für die Diagnose. Ohne Stör-Licht erwartet Azarhoushang bedeutend schnellere und bessere Ergebnisse.

Um die neuartigen Oberflächen in der Masse einzusetzen, brauchen Unternehmen keine eigene fünfachsige Laseranlage. In vielen Projekten konnten mittels Laser Formen erstellt werden, die dann wiederum im normalen Spritzgussverfahren eingesetzt werden.
Professor Azarhoushang untersucht derzeit zum Beispiel, wie es gelingen kann, antimikrobielle Oberflächen auf Kunststoffe zu übertragen – nicht nur im medizinischen Bereich leuchtet sofort ein, wie nützlich Oberflächen wären, auf denen keine Keime haften!

Ob wartungs- und verschleißfreie Werkstücke aus superhartem, diamanthaltigem Material für den Einsatz in der Tiefsee oder ultradünnes, gewölbtes Glas – scheinbar gibt es kaum einen Werkstoff, dem „GF-P400U“ nicht eine neue Oberfläche verpassen kann. Eindeutig: im KSF sind wir bei „Wünsch dir was“.

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Ein Mann schaut durch eine Sicherheitsscheibe einer Maschine zu