10.05.2023

Einmal über die Planke, bitte

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Eine Frau mit VR-Brille und Controllern in der Hand

Als akademische Mitarbeitende sind Ramona Schmid und Herag Arabian mit in das Projekt KomPASS eingebunden. Sie führen die Messungen und die Erfassung der Marker zur Emotionserkennung durch.

Forschung an „Facial Emotional Recognition“ soll Hilfsmittel für autistische Menschen ermöglichen

Es ist vermeintlich einfach: wir lächeln unser Gegenüber an, und der oder die andere lächelt zurück. Was aber, wenn unser Lächeln nicht verstanden, nicht als freundlich eingeordnet wird?

Menschen mit der Diagnose Autismus haben genau damit zu kämpfen. Autismus ist eine neurologische Entwicklungsstörung, die sich auf die soziale Interaktion, auf Kommunikation und das Verhalten auswirkt. Autistische Menschen müssen oft lernen, welche Gesichtsausdrücke zu welcher Emotion gehören, um andere Menschen „lesen“ zu können und so zu reagieren, wie es gesellschaftlich erwartet wird. Viele Unsicherheiten und Ängste machen dies zur Dauerbelastung für Betroffene. Das möchten Forschende der Hochschule Furtwangen (HFU) nun entschärfen.

Das Forschungsprojekt „KomPASS“ hat zum Ziel, Computerspiele zu generieren, die autistischen Menschen – vor allem Jugendlichen – das „Gesichterlesen“ leichter machen. „Die Idee ist, Kindern und Jugendlichen eine Art Training zu erschaffen, das sie aber nicht als anstrengend oder gar als Dauertherapie empfinden“, erklärt Projektleiter Prof. Dr. Knut Möller, der an der HFU das Institut für angewandte Forschung leitet. Games machen Spaß – auch, wenn man nebenbei zum Erreichen des nächsten Levels eine Emotion erkennen und einordnen soll.

„Das Ziel des Projekts ist es, ein geschütztes System zu entwickeln, in dem die Spielenden langfristig, auch im privaten Bereich, Trainings absolvieren können“, so Möller. Die Computerspiele sind nicht nur für Autistinnen und Autisten geeignet – denkbar wäre ein Einsatz auch bei Menschen in Positionen, in denen Personalverantwortung ein besonders empathisches Eingehen auf andere erfordert.

Emotionserfassung durch Virtual Reality

Um solche spielerischen Trainings zu erstellen, gilt es zunächst, Emotionen zu erfassen, damit sie später per Avatar wiedergegeben werden können. „Damit ein Computer erkennen kann, um welche Emotion es sich handelt, muss es uns erst einmal gelingen, diese Emotion gezielt auszulösen“, sagt Prof. Dr. Verena Wagner-Hartl, die ebenfalls Teil des Projektteams ist. Sie betreut den Messstand im Labor „Ingenieurpsychologie/Human Factors (IP/HF)“ am HFU-Standort Tuttlingen. Dort wurde zunächst untersucht, inwieweit Bilder Gefühle auslösen können, die messbar sind. „Die Ergebnisse waren aber nicht deutlich genug“, so Wagner-Hartl. Mittlerweile setzt das Team VR-Brillen ein, mit denen die Probanden – meist Studierende – einschlägige Situationen erleben. „Im IP/HF-Labor schicken wir sie zum Beispiel in einem Hochhaus-Setting auf einer Planke über eine Häuserschlucht“, berichtet die Professorin für Ingenieurpsychologie. Der Nervenkitzel ist deutlich messbar – Schwitzen an den Handflächen, erhöhter Puls, und ein Eye-­Tracking-System in der Brille misst die Augenbewegungen. Das Experiment ist auch bei Besucherinnen und Besuchern höchst beliebt. „Wir hatten zum Beispiel beim Tag der offenen Tür schon begeisterte Kinder zu Gast, die das so real erlebt haben, dass sie beim Sprung von der Planke auf allen Vieren gelandet sind“, berichtet Wagner-Hartl. Probandinnen und Probanden helfen bei der Erfassung der Emotionen auch dadurch, dass sie sich an erlebte Momente erinnern, in denen das gefragte Gefühl intensiv empfunden wurde.

Das Team von KomPASS ist interdisziplinär besetzt. Nicht nur innerhalb der HFU, wo die Fakultäten Industrial Technologies und Medical and Life Sciences zusammenarbeiten. In KomPASS und weiteren geplanten Folgeprojekten sind auch internationale Partner dabei – aus Ungarn werden Software-Spezialisten hinzugezogen, an der TU Graz wird die Gamification des Projekts ausgetüftelt, und mit der Uniklinik Freiburg ist das größte deutsche Autismus-Zentrum mit eingebunden. Dort wird das Konzept der Games zum Beispiel von Mitarbeitenden ausgewertet, die selbst Autistin oder Autist sind. „So sichern wir ab, dass wir in den Spielen Situationen simulieren, die wirklich hilfreich sind“, erklärt Prof. Möller.

Hochinteressant – und deshalb in einem eigenen Projekt erforscht – ist auch die Frage, inwieweit unsere sozialen Verhaltensmuster von unserem Kulturkreis abhängen. Prof. Möller und sein Team arbeiten deshalb mit Forschenden aus Neuseeland zusammen, die mit Personen aus der Volksgruppe der Maori untersuchen, wie ethnische Zugehörigkeit Ausdrucksformen beeinflusst.

Das vom Land Baden-Württemberg geförderte Projekt KomPASS ist auf zwei Jahre angesetzt, die Anschlussprojekte werden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, eines davon von der EU unterstützt.

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